Das Wunder von Peckatel

Als der Eisriese von den Göttern erschlagen wurde, entstanden aus seinen Zähnen und Knochen die Gesteine und Felsen, aus seinem Blut die Seen und Flüsse, aus seinen Haaren die Bäume und Hecken und aus seinem Hirnschädel das Firmament. Aus seinem Fleisch aber wurde der fruchtbare braune Boden.
In seinem Fleisch hatten sich über die Zeit viele Maden eingefunden, mit denen die Götter nichts Rechtes anzufangen wussten. Schließlich gaben sie ihnen Menschengestalt, aber kleine Körper mit starken Armen und Beinen und einen großen Kopf. Sie wurden mit dem tüchtigen Bergbau und dem künstlerischen Schaffen wundervoller Schätze beauftragt. Deshalb gaben ihnen die Götter auch einen feinen Verstand. Sie lebten noch in ihrer unterirdischen Welt, als die Menschen bereits die Erde besiedelten.
Die Unterirdischen lebten in den Hügeln in der Nähe der menschlichen Siedlungen und halfen den Menschen bei ihrem schweren Leben. Sie näherten sich ihnen mit Freundlichkeit und Wohlwollen: Sie halfen bei der Arbeit, boten Hilfe an und gaben von ihren Haushaltsgeräten ab. Sie belohnten besondere Menschen auch mit kleinen Schätzen.
Das erregte den Neid und die Neugier der Menschen. Sie verfolgten die Unterirdischen, schätzten ihre Gaben gering und versuchten ihnen die Schätze zu rauben. Da zogen sich die Unterirdischen von den Menschen zurück. Sie spielten ihnen höchstens mal einen Schabernack, verhöhnten sie gar und ließen sie vergeblich in der Erde nach den Schätzen wühlen. Die Menschen erzählten und erzählen viele Geschichten davon. Und vielleicht sehnen sie sich heimlich auch zurück nach der Zeit der freundlichen Nachbarschaft.
Heute weiß nun keiner mehr so genau, ob es die Unterirdischen eigentlich noch gibt oder ob es sie wirklich gegeben hat. Dafür aber gibt es über und überall Menschen und Menschen.

Nahe dem Dorf Peckatel bei Schwerin liegen drei Hügel in Kegelform in der Feldmark. In den Dörfern der Umgebung wurde erzählt, dass man in den Abendstunden manchmal beim zufälligen Vorüberkommen dort einen steinernen Tisch vorfinden konnte. Der Tisch war auf des Beste bestellt mit Speisen und Getränken und man konnte sich freihalten von Herzen; niemand kam mit einer Rechnung. Die Leute der Umgebung waren oft zu Gast an dieser Tafel und erzählten lustigste Geschichten über wilde Gelage und prächtige Feste, die sie dort verlebt hatten. Gastgeber sollen kleine Männchen aus der Tiefe des Berges gewesen sein, die „Unnerirdischen“. Im Morgengrauen verschwand der ganze Rummel ohne Spur, und wenn er wieder auftauchte, so war alles erneut auf das Feinste gerichtet und frisch bestellt.
Einmal nahm ein Knabe aus dem Dorfe eine der zierlichen Gabeln vom Tische mit. Da konnte die Tafel nicht verschwinden, und in der Morgensonne verdarben die Speisen und ein schrecklicher Gestank verbreitete sich. Schnell brachte der Knabe die Gabel zurück und der Tisch versank mit all seinen Speisen. In der Folge ist er aber niemals wieder erschienen. Die Bewohner der Dörfer hatten die Freundschaft der „Unnerirdischen“ verspielt.
Doch wenn die Frauen aus den Dörfern zum Muskochen oder zum Schlachten einen enorm großen Kessel benötigten, so konnten sie einen solchen am Fuße des Hügels finden und ihn nach dem Benutzen immer dort wieder ablegen. Der große Kupferkessel war dort immer bei Bedarf zu finden. Aber auch diese Gunst verspielte eine Menschenfrau, als sie ihn verschmutzt und unachtsam zurückgab. Der Kessel wurde nie mehr gesehen.

Und manchmal wird eine Geschichte als Sage erzählt und dreitausend Jahre später wissenschaftlich bestätigt.

Im Jahre 1843 gruben Archäologen einen der Hügel auf, die sie als Bronzezeitliche Grabhügel erkannt hatten. Und was wurde gefunden?
Unter einer riesigen Platte aus Stein ein Kultwagen aus Bronze, der aus einem riesigen Kessel und einem Untergestell mit Rädern besteht!
Den kann man heute im archäologischen Landesmuseum oder im Internet bewundern. Der Wagen soll dort vor über 3000 Jahren vergraben worden sein!
Über die Zeit der Völkerwanderung, der slawischen Besiedlung, der deutschen Kolonisation hinaus wurden die Geschichten über die „Unnerirdischen“ erzählt.
Keine großen Geschichten, keine großen Sagen, aber schöne Märchen und kleine Geschichtchen. Unterhaltend oder gruselig, ganz wie der Abend, an dem sie erzählt werden sollen, und die Leute, die sie hören wollen.

Und immer, wenn man nicht genau weiß – dann fängt man eben an zu träumen.

Quelle: Dorothea Wende "So hätt' es können sein" Eine Auswahl von Märchen und Sagen aus Nordwestmecklenburg, Einblicke zwischen Schaalsee und Salzhaff 7, Gadebusch, Landkreis Nordwestmecklenburg (2001)

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