Vom Hexenmeister Havekost

„Schlimm steht es für die Anwohner der Elbe, wenn der Strom übermäßiges Hochwasser führt; die Wiesen und Gärten überschwemmen, die Ernte wird oftmals vernichtet. Die Boizenburger haben besonders stark unter der Überschwemmung zu leiden, denn ihre Elbseite ist nicht eingedeicht, und sie schauen dann neidvoll zu den hannoverschen Nachbarn hinüber, die hinter ihrem breiten Deich sitzen und nur aufpassen müssen, dass er nicht bricht. Missgünstige Leute auf unserer Elbseite wünschen das wohl, denn damit bekämen ihre Ländereien Entlastung von den Wassermassen. Zu diesen bösen Menschen gehörte auch der Zauberer Havekost, dessen Name durch ein Brack hinter dem Deich am Goldufer erhalten ist.
Havekost hatte einen Garten in Altendorf, der im Frühjahr ständig unter Wasser lag. Wenn er dann am Rande seines Besitztums stand, über die weite Wasserfläche hinwegschaute und am jenseitigen Ufer die Bauernhäuser hinter dem Deich liegen sah, dann schien es ihm, als ob sie ihn in ihrer breiten Sicherheit verhöhnen wollten, und mehr als einmal reckte er drohend die Faust zu ihnen hinüber und schwur dem Deich Verderben. Nun war aber Havekost der Mann, der seinen Worten die Tat folgen lassen konnte, denn er verstand mehr als Brotessen. Er war ein großer Zauberer, und er besaß einen Gürtel und ein Sieb, womit er seinen Plan ausführen konnte. In einer dunklen Nacht setzte er das Sieb ins Wasser, schnallte den Zauberriemen um und war im Nu in einen dreibeinigen Hasen verwandelt, hoppelte ins Sieb, murmelte seinen Zauberspruch:
-Min Saewenrand, min Saewenrand, Nu bring mi na Hannoverland –
und wie der Wind sauste das seltsame Fahrzeug mit dem Hasen über das Wasser hinweg, bis es an dem Deich vor Brackede zum Stehen kam. Der Hase sprang heraus und horchte eine Weile umher, ob kein Deichwächter in der Nähe wäre. Als alles ruhig blieb, ging er sofort ans Werk. Er wuchs mit unheimlicher Geschwindigkeit, bis er fast so groß wie ein Kalb war, kratzte und scharrte ein Loch in den Deich, sah, wie das Wasser einströmte, schrumpfte dann zusammen, so dass er wieder wie ein gewöhnlicher Hase aussah, und nun hoppelte er in sein Sieb zurück, mit dem er dem Boizenburger Ufer zustrebte. Bald drang das Tuten und Dröhnen der Signalhörner vom jenseitigen Elbufer durch die Nacht und meldete den Deichbruch. Da war aber lange aus dem Hasen wieder ein Havekost geworden, und dieser steckte neugierig seine Nase zum Fenster heraus, als die aufgeschreckten Boizenburger Nachbarn durch die Straßen liefen und sich nach dem Lärm auf dem jenseitigen Ufer umsehen wollten.
So trieb Havekost über zehn Jahre sein Unwesen, da erreichte auch ihn sein Schicksal. Niemand ist ein so gewaltiger Zauberer, er hat noch einen größeren über sich. Die Brackeder, denen die Deichbrüche nicht geheuer schienen, wandten sich an Küster Meier aus Garlstorf, der auch ein großer Hexenmeister war. Er schaute in seinen Zauberspiegel und sah darin einen dreibeinigen Hasen. Da wusste er, dass darin ein Mensch steckte, der einen Zaubergürtel trug, und dieser war nicht anders zu treffen als mit einer Kugel, die aus einem geerbten silbernen Knopf gegossen war. In einer stürmischen Nacht legte er sich in den Hinterhalt, und er brauchte nicht lange zu warten, da kam das Sieb und mit ihm der Hase. Dieser war kaum herausgesprungen, so wuchs er wieder zur Größe eines Kalbes heran und begann zu scharren - jetzt feuerte Küster Meier los, und vor ihm lag Havekost in seiner menschlichen Gestalt und schrie erbärmlich. Der Schütze hatte den Zaubergürtel durchschossen und Havekost ein mächtiges Loch in den Leib gerissen. Nun eilten auch die Deichwächter herbei, schlugen ihn tot und spießten ihn nach altem Deichrecht mit einem spitzen Dornpfahl auf in dem Brack, das er gerissen hatte. Dieses Brack heißt bis auf den heutigen Tag die Havekost.

Quelle: Hans Vick, Sagen und Erzählungen aus Boizenburg, Heimatblätter des Kreises Hagenow, Boizenburg, Pädagogisches Kreiskabinett Hagenow 1956

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