Das Ungeheuer vom Schweriner See

Vor vielen Jahren saß einmal ein Fischer in seinem Kahn auf dem Schweriner See - und zwar auf dem Nordende desselben, dem sogenannten Viechelnschen See. Er war allein und legte Hand über Hand sein Netz aus. Da gewahrte er, als er sich einmal umsah, ein großes, behaartes, affenähnliches Ungeheuer vorn in seinem Boot, das dort saß und ihm bei der Arbeit zuschaute. Der Fischer erschrak nicht wenig, denn er hatte nicht bemerkt, wie und woher das merkwürdige Wesen in seinen Kahn gelangt war; doch er gab sich Mühe und ließ sich den Schreck nicht anmerken, sondern arbeitete weiter über Bord -ohne aber den Mut zu haben, sich noch einmal umzublicken. So verging die Zeit. Das Ungetüm saß indessen vorn auf der Bank, es rührte sich nicht weiter, sondern bewegte, wenn es dem Manne zuschaute, allein seine hässlichen Augenlider. Langsam wurde dem Fischer die Zeit aber lang, er wusste nicht, wie er noch seine Arbeit fortsetzen sollte; doch wagte er immer noch nicht, mehr als nur dann und wann einmal einen verstohlenen Blick auf das Ungeheuer zu werfen. So wurde es Abend, die Sonne ging unter, und dann stieg hinter den Ufererlen rund und golden der Vollmond auf. Da fasste der Fischer sich endlich ein Herz und er schlug mit seinem Ruderriemen auf das zottige Wesen ein. Mit einem gräßlichen Aufschrei stürzte sich das Ungetüm über Bord. Doch dabei ergriff es mit seinem langen Arm das Wams des Fischers beim Kragen und zog den armen Mann mit sich ins Wasser. Einmal und noch einmal kämpfte der Fischer sich an die Oberfläche zurück und versuchte zu schreien. Doch das fürchterliche Wesen hielt seine behaarten Arme um die Brust des Mannes geklammert und fuhr mit ihm zuletzt so gewaltig in die Tiefe, daß es einen heftigen Strudel aufwirbelte, welcher beinahe noch den Kahn zum Kentern gebracht hätte.
Am nächsten Morgen entdeckten Leute aus dem Dorf das leere Boot draußen auf dem See. Von dem Fischer aber hat man nie wieder etwas gesehen. Denn trotz allen Suchens mit Stangen und Netzen fand man nirgendwo im See seine Leiche. Allein ein Büschel häßlicher brauner Haare im gespaltenen Riemenblatt machte den Männern deutlich, daß hier etwas Ungeheuerliches geschehen war. Daraufhin gaben sie das Suchen auf.
Später, noch in heutiger Zeit, wenn junge Leute in klaren Vollmondnächten mit dem Faltboot am Schilf entlang fahren, hören sie manchmal draußen auf See plötzlich ein Plätschern wie von einem Kampf und einen unterdrückten Aufschrei. Der wäre so fürchterlich, sagen welche, daß sie sich vor lauter Angst und Entsetzen ganz still verhalten würden. Und manche legten sich ins Zeug und nahmen Reißaus. Die Fischer von Hohen Viecheln aber fahren nie mehr allein auf den See hinaus ...

Quelle: Kurt Biesalski aus Der Kirschbaum auf der Düne

Das Ungeheuer vom Schweriner See - Plattdeutsch

Das Ungeheuer vom Schweriner See
Hohen Viecheln

Text zum Lesen und Bild